Mittwoch, 2. Dezember 2009

Im Land der Barbaren

Als Veronika von Wien nach Berlin zog, schockierte sie ihr neues Zuhause mit zwei Dingen: Direktheit und Monstrosität.
Die Architektur Berlins erschlug sie mit ihrer klotzigen Disharmonie. Alles war groß, die Häuser wie wahhlos zusammengewürfelte Blöcke, nichts schien zueinander zu passen.
Vergeblich suchte sie Gassen oder gar Gässchen. Auch die kleinsten Straßen kamen ihr vor wie der Wiener Gürtel, wie mächtige Alleen.
Fern in der Heimat war sie es gewohnt, dass die Dinge herausgeputzt sein mussten - dass wenigstens die Fassade etwas hergeben musste, selbst wenn darunter alles morbid und zerfallen sein mochte.
Das einzige, was zu all dieser Disharmonie zu harmonieren schien, war die Direktheit der Leute. In Österreich redete man um den heißen Brei herum, sagte nicht, was man sagen wollte, legte viel Wert auf die Feinheiten der Sprache.
In Berlin hingegen kamen die Leute ohne Umweg zum Punkt. In der ersten Zeit war ihr, als würden ihr die Antworten der Berliner wie Peitschenhiebe ins Gesicht schlagen.
Es gab kaum ein Danke, kaum ein Gerne und keine Floskeln. Sie hatte das Gefühl, inmitten eines unerzogenenen Volkes, bei Barbaren gelandet zu sein, und wenn sie sich umschaute und den Menschen lauschte, so war ihr als schlügen sie mit Äxten aufeinander ein. Passte jemanden etwas nicht, so wurde nicht lange gefackelt, sondern ohne Umschweife verbal drauf gehauen.
Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass manch Schroffheit nicht als solche gemeint war, und auch der Berliner ab und an zu Liebenswürdigkeiten neigte.

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